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Die Formel von der „reconciliation de l’histoire et de la comparaison“ entstammt Arbeiten des französischen Politologen Bertrand Badie.[1] Die mit ihr programmatisch angemeldeten Perspektiven dienen als Motto für die folgenden Überlegungen. Diese werden zunächst (1) Problem-Entwicklungen beleuchten, die überhaupt erst das Desiderat einer solchen „Wiederversöhnung“ aufkommen ließen. Sie werden des weiteren (2) theoretische Alternativen und die im Anschluss an solche Alternativen möglichen Problemlösungen skizzieren, um schließlich (3) einen auf solchen Grundlagen weitergedachten Vergleichsansatz zu entwickeln.

1 Problem-Entwicklungen

Die programmatischen Ideen, die in der Formel von der „Wiederversöhnung von Geschichte und Vergleich“ verdichtet sind, erwachsen vor dem Hintergrund von Entwicklungen, von denen vor allem zwei hervorgehoben seien. Was sich zunächst aufdrängt, sind Kontrasterfahrungen, wie sie sich im Vollzug und als Ergebnis vergleichender Forschung selbst eingestellt haben. Gemeint sind Kontraste zwischen den avanciertesten Versionen der sozialwissenschaftlichen – „empirisch-analytischen“ – Vergleichsmethodologie und ihren im Bereich makro-sozialer Phänomene in aller Regel uneingelösten Erklärungsleistungen. Damit sind szientifische Methodenkonzepte angesprochen, mit denen vergleichende Forschung auf eine konsequente Nomologisierung bereichsspezifischen Wissens verpflichtet wurde. Entsprechende Arbeitsprogramme zielten mit anderen Worten darauf ab, spezifizierte Hypothesen unter Einbezug einer möglichst großen Anzahl von Vergleichsfällen zu prüfen bzw. zu erklärungsmächtigen Mehr-Variablen-Modellen weiter auszudifferenzieren. Solche Arbeitsprogramme wurden sowohl für Soziologie und Politikwissenschaft[2] entworfen wie für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung[3] oder Ethnologie und Psychologie.[4] In der Logik ihres Ansatzes aber waren entsprechende Methodenkonzepte dazu disponiert, die anschaulich erfahrbare Fülle historisch-kultureller Welten auf den Status eines bloßen „Prüfungsmaterials“[5] oder „natürlichen Labors“[6] für die quasi-experimentelle Kontrolle sozialwissenschaftlicher Theoriestücke zu reduzieren. Die anspruchsvollsten Fassungen nomologisch ausgerichteter vergleichender Methodenlehre kulminierten geradezu in dem Postulat, die nationalstaatlichen Eigennamen der in einen Vergleich einbezogenen Analyseeinheiten so weit wie möglich in generalisierbare Variablen aufzulösen.[7] Sie implizierten damit nichts Geringeres als die methodologische Tilgung sozial-kultureller Konfigurationen und die Enthistorisierung des Sozialen.

Entsprechend zugespitzte Methodenlehren bilden daher nicht nur den Hintergrund für die langanhaltenden Kontroversen zwischen „individualisierenden“ und „generalisierenden Ansätzen,“[8] zwischen (holistisch-interpretierenden) „case-oriented“ und (quantifizierend-hypothesenprüfenden) „variable-oriented approaches,“[9] oder zwischen „configurative approaches [aiming at] understanding“ und „comparative approaches [aiming at] explanation.“[10] Es ist vielmehr auch charakteristisch für die szientifisch angelegten Vergleichstraditionen, dass sie den Erklärungsanspruch, der für vergleichende Sozialwissenschaft sowohl historisch wie systematisch konstitutiv ist, im forschungspraktischen Vollzug immer erneut unterlaufen: Substantielle Erklärungen treten zurück hinter das offensichtlich erfolgreichere Geschäft komparativer Theorieprüfung und -widerlegung. Die im Vergleich zutage tretenden empirischen Evidenzen führen in aller Regel weniger zur Bestätigung, sondern nötigen zur Revision der als regelmäßig unterstellten makrosozialen Zusammenhänge. Universalistisch ausgreifende Theorien, die in binnen-nationaler Untersuchung fast immer dehnungsfähig genug sind, um sich mit den Daten in Übereinstimmung zu setzen, brechen sich an der in inter-nationaler Analyse einholbaren Variationsbreite sozial-kultureller Beziehungsmuster. Statt, wie Durkheim postulierte, als „Regel der Beweisführung“ für erklärungsmächtige makrosoziale Bedingungs- oder Wirkungszusammenhänge zu dienen, erweist sich der Vergleich vorzugsweise als Verfahren der Theoriekritik. „Comparer“ – unterstreichen Badie und Hermet – „relève peut-être plus de la méthode critique que de la méthode positive et […] à ce titre, le comparatiste est souvent plus performant pour introduire le doute que pour construire une analyse.“[11] Der irritierende Vorzug des Vergleichs scheint es, genauer gesagt, gerade zu sein, theoretisch ausformulierte Erklärungsmodelle auf den Untiefen komplexer Kausalnetze auflaufen zu lassen. „Can a hypothesis that X is, ceteris paribus, a cause of Y in the real world ever be confirmed?“ – lautet denn auch, in Sichtung des einschlägigen Forschungsstandes, die zweifelnde Frage eines der prominentesten Theoretiker kausalanalytischer Vergleichsforschung.[12]

Komplexität von Kausalverhältnissen ist jedoch nicht der einzige Grund für die wachsende Infragestellung der Grundannahmen des mainstream der empirisch-analytischen vergleichenden Sozialwissenschaften. Herausforderungen ähnlichen Gewichts stellen sich in Anbetracht offenkundiger, und offenkundig zunehmender, Überlagerungen von nationalen (gesellschaftlichen, kulturellen etc.) Kontexten durch internationale (intersozietale, -kulturelle etc.) Verflechtungszusammenhänge, Austauschbeziehungen und Integrationsprozesse sowie durch die damit einhergehende Emergenz weltgesellschaftlicher Strukturen. Forschungen und Modellbildungen, die diese Entwicklungen zum Thema machen, laufen in der Tat darauf hinaus, den weithin fraglos vorausgesetzten Erkenntnisgegenstand einer vergleichenden Sozialwissenschaft aufzulösen: die Welt, verstanden als eine Vielheit voneinander abgrenzbarer nationaler Gesellschaften oder kultureller Kontexte, die als selbständige Entitäten, als sozio-historisch distinkte Gebilde, wechselseitig für einander Umwelt sind. Solche Auflösungen haben zur unmittelbaren Konsequenz, dass auch die einem solchen Gegenstand angemessene Forschungsstrategie – der auf eine Vielheit voneinander unabhängiger Analyseeinheiten beziehbare Vergleich – entleert wird, und zwar entleert zugunsten historischer Rekonstruktionen großräumiger kultureller Diffusionsprozesse oder global ausgreifender Analysen transnationaler Verflechtungszusammenhänge. Zu solchen Rekonstruktionen gehören unterschiedliche Ansätze der Transfer-Forschung, Beziehungsgeschichte und „entangled history“[13] ebenso wie Analysen von historisch und zivilisatorisch weit ausgreifenden Disseminations- und Rezeptionsvorgängen;[14] sie erstrecken sich auf die empirische Erhellung dezidiert trans-gesellschaftlicher Internationalisierungsprozesse[15] ebenso wie auf die in Fortbildung Braudel’scher Konzepte entfalteten Weltsystem-Analysen.[16] Jeder dieser Ansätze versteht sich mit seiner Betonung trans-nationaler, trans-kultureller oder trans-gesellschaftlicher Beziehungen, Transfers und Verflechtungen als Alternative zur klassisch sozialwissenschaftlichen – mithin „cross-national,“ „cross-cultural“ oder „cross-societal“ dimensionierenden – Vergleichsforschung. Jeder dieser Ansätze ist verbunden mit einer teilweise explizit formulierten Kritik sowohl an den ontologischen Vorannahmen (über eine den einzelnen Nationen, Kulturen oder Gesellschaften immanente Entwicklungslogik) wie an den Erkenntnismöglichkeiten (quasi-experimenteller Theorieprüfung und theoriegestützter Erklärung) dieser Vergleichstradition. Und jeder dieser Ansätze fokussiert folglich auf Untersuchungseinheiten, die nicht in Form von kulturell oder nationalstaatlich abgrenzbaren Entitäten gegeben sind, sondern in Gestalt von dezidiert „trans-societal structures.“[17] Damit sind Strukturen gemeint, die sehr unterschiedlich zugeschnitten und auf unterschiedlicher Analyse-Ebene angesiedelt sein können: auf der Ebene von grenzüberschreitenden Beziehungen, Wanderungs- und Austauschbewegungen sowie entsprechenden Überlagerungs- oder Hybridisierungsprozessen zwischen Staaten, Gesellschaften oder Kulturräumen;[18] auf der Ebene von „world-cities,“[19] global agierenden kosmopolitischen Eliten[20] und trans-national operierenden Gruppen, Netzwerken oder Organisationen;[21] oder schließlich auf der Ebene global vernetzter „historical systems,“ seien diese nach primär kulturellen Parametern als „world polity“ bestimmt,[22] oder seien sie definiert als „the historically specific totality which is the world capitalist economy.“[23]

Zieht man beide Problemstränge zusammen, so zeigt sich das ganze Ausmaß der Herausforderungen grundlegender Art, mit denen sich die klassische Vergleichsmethodologie seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert konfrontiert sieht, und zwar nicht zuletzt aufgrund komparativer und internationaler Forschung selbst. Das im Grundsatz alte, für die Sozialwissenschaften beispielsweise schon von John Stuart Mill diskutierte, jedoch durch szientifische Wissenschaftsprogramme methodologisch reduzierte Problem der Komplexität von Kausalverhältnissen potenziert sich aufgrund zunehmend komplexerer Verhältnisse im Gegenstandsbereich vergleichender Sozialwissenschaften selbst. Deren klassische Analyse-Einheiten – Gesellschaften, Nationen oder Kulturen – verlieren ihre empirische Eindeutigkeit und damit zugleich ihren argumentativen Stellenwert nach Maßgabe einer quasi-experimentellen Auswertungslogik. Sie treten zurück hinter vielschichtige Gemengelagen von historisch-kulturellen Entitäten und emergenten Weltzusammenhängen, von konfigurativen Ordnungen und globalen Prozessen zivilisatorischer Interpenetration. Vor diesem Hintergrund ist die programmatische Formel von der „réconciliation de l’histoire et de la comparaison“ zu sehen. Sie impliziert Konsequenzen zumindest dreifacher Art:

Zunächst wird eine vergleichende Sozialwissenschaft, welche die Komplexität ihrer Erkenntnisgegenstände unverkürzt zur Geltung bringen will, nicht umhinkommen, sie perspektivisch in mehrfachen Referenzen gleichermaßen zu dimensionieren:[24] (a) als sozial-kulturell je spezifisch konfigurierte Gefüge von – auch theoretisch anschließbaren – Interrelationen, (b) unter Gesichtspunkten transkultureller Wanderung, Interaktion, Beeinflussung oder Überlagerung, sowie (c) in der Perspektive gesellschaftsgeschichtlicher Modernisierung und weltgesellschaftlicher Verflechtung.[25]

Des weiteren dürften sich methodisch die erwähnten Gegensätze zwischen geschichtswissenschaftlich-individualisierenden (oder fallorientierten) und sozialwissenschaftlich-generalisierenden (oder variablenorientierten) Vergleichsverfahren in dem Maße relativieren, in dem vergleichende Sozialforschung sich den Herausforderungen der makro-historischen Prozessperspektive stellt, wie sie durch Diffusions-, Internationalisierungs- und Weltsystem-Ansätze vorgezeichnet ist. Denn mit der „Wiederversöhnung von Geschichte und Vergleich“ ist nicht allein die Zusammenführung von historischer Prozess- und komparativer Strukturanalyse gemeint.[26] Damit ist auch die Historisierung der einbezogenen Vergleichseinheiten selbst gemeint: als grenzunscharfer, dem Wandel in der Zeit unterliegender und in Interaktion mit anderen nationalen (gesellschaftlichen, kulturellen etc.) Kontexten sich konstituierender Entitäten. Schließlich sind damit Ansätze gemeint, die auch ihre eigenen vergleichsstrukturierenden Annahmen und Modelle temporalisieren und die den Erklärungsanspruch des Vergleichs in modellgeleitete Rekonstruktionen sozial-kulturell unterschiedlich konfigurierter Entwicklungspfade übersetzen.

Mit solchen Konsequenzen ist schließlich auch angesprochen, dass vergleichende Sozialwissenschaft theoretisch auf Begriffssysteme bzw. Theorieprogramme angewiesen ist, welche die umrissene Spannbreite von Analyseperspektiven und methodischen Gesichtspunkten konzeptionell aufzunehmen und entsprechende Forschungen anzuleiten vermögen. Gefragt sind zudem Theorieprogramme, welche die Einsichten zu integrieren vermögen, wie sie in unterschiedlichen Feldern vergleichender Forschung generiert worden sind: als Einsichten in Interrelationsgefüge und systemische Eigendynamik, in Strukturaufbau und rekursive Strukturabhängigkeit weiteren strukturellen Wandels oder in Abweichungsverstärkung und komplexe Kausalität.

2 Theoretische Alternativen

Theorien, die solche Einsichten ver- und ausarbeiten, sind vermehrt auf der Grundlage jüngerer Forschungen in Natur-, Bio- und Sozialwissenschaften entwickelt worden. Und sie scheinen unter Titeln wie „Komplexität“ und „Selbstorganisation“ ein zunehmend interdisziplinäres Forschungsprogramm abzustecken.[27] Indem sie die Erklärungsproblematik vergleichender Sozialforschung entlang von Konzepten wie „Zeitlichkeit“, „Nicht-Linearität“ oder „Unsicherheit“ auf Neuorientierungen auch innerhalb der Naturwissenschaften hin öffnen, relativieren solche Theorien gleichzeitig die langwährende Dominanz szientifisch-experimentalwissenschaftlicher Paradigmen in den Sozialwissenschaften.[28]

Hervorzuheben im Bereich sozialwissenschaftlicher Theoriebildung sind in diesem Zusammenhang Entwürfe, wie sie Margaret S. Archer im englischen, Edgar Morin im französischen oder Niklas Luhmann im deutschen Sprachraum vorgelegt haben. Dies insbesondere auch deshalb, weil sie an allgemeine Grundgedanken aus Systemtheorie, Kybernetik, Neurophysiologie oder Kommunikationstheorie anschließen und diese zugleich auf die Spezifik des Sozialen hin auslegen.[29] Vor allem zwei charakteristische Aspekte, welche die sozialwissenschaftlichen Selbstorganisationstheorien auszeichnen, verdienen in unserem Zusammenhang Aufmerksamkeit., denn sie sind unmittelbar auf das zweifache Komplexitäts-Problem bezogen, dessen Bewältigung für eine Neubestimmung des Verhältnisses von Vergleich und Erklärung von zentraler Bedeutung ist.

So ist es zunächst ein Vorzug dieser Theorien, dass sie die Faktoren von Zeit und Zeitlichkeit, den „arrow of time“, bewusst in die Theoriestruktur selbst einbauen. Dies trifft gleichermaßen zu auf die von Archer betonte Temporalität und (von zyklisch sich verändernden Plateaus ausgehende) Variabilität von Strukturaufbauprozessen wie auf die von Luhmann vorgenommene Verzahnung von System- und Evolutionstheorie.[30] Der so geschaffene Theorierahmen bietet nicht nur die Begriffsmittel, um die Spezifik sozial-kultureller Handlungsfelder – wie etwa Politik, Wirtschaft oder Erziehung – und deren Beziehungen zu ihrer gesellschaftlichen Umwelt zu fassen; er bietet zugleich auch die begrifflichen Perspektiven, die diese Handlungsfelder oder Teilsysteme in ihrer Historizität im Rahmen gesellschaftsgeschichtlicher Differenzierungsprozesse, und zwar bis hin zu Prozessen weltgesellschaftlicher Verflechtung thematisch gebundener Kommunikation, begreifbar machen.

Der zweite in unserem Zusammenhang wichtige Gedanke bezieht sich auf die insbesondere für Morin und Luhmann charakteristischen Ansätze, die – gerade durch vergleichende Forschung nachhaltig demonstrierte – Komplexität von Kausalverhältnissen in der Theoriekonstruktion selbst zu berücksichtigen. Vor allem mit Bezug auf sich selbst organisierende Systeme hat Edgar Morin, in systematisierender Auswertung eines breit verzweigten Forschungsstandes, die „émergence de la causalité complexe“ näher beschrieben.[31] Solche Systeme – wie Organismen, Individuen und, a fortiori, soziale Systeme – sind Umwelteinwirkungen, Fremdbestimmungen oder Beeinträchtigungen von außen nicht umstandslos ausgesetzt. Aufgrund systemeigener Verarbeitungsprozesse, die dann fassbar werden über Konzepte wie Selbstreferenz und Sinnselektion, setzen sie vielmehr interne Gegenwirkungen (endo-causalité) frei, welche die Stoßrichtung und Durchsetzungskraft externer Faktoren (exo-causalité) aufbrechen und überformen. „Exo-causalité“ und „endo-causalité“, äußere Einwirkungen und internes Prozessieren, Umweltoffenheit und operative Geschlossenheit von Systemen, greifen insofern, in antagonistisch und komplementär zugleich sich aufbauender Verschränkung, ineinander.

In solcher Verschränkung sind dann auch die Effekte angelegt, wie sie von vergleichend und historisch gleichermaßen ausholenden Arbeiten als systemische Beharrungskraft, als inertia oder momentum, eindrucksvoll herausgearbeitet wurden.[32] Und in analoger Weise gehen aus solcher Verschränkung die komplexen Gemengelagen von globaler Diffusion transnationaler Programme und Organisationsmodelle auf der einen und überraschender Beharrungskraft variierender sozial-kultureller Interrelations-Gefüge auf der anderen Seite hervor, welche die internationale Vergleichsforschung in vielfältigen Ausprägungen aufgezeigt hat.[33] Die Verschränkung und wechselseitige Überformung von „exo-causalité“ und „endo-causalité“, von Außeneinwirkungen und internem Prozessieren, ist es schließlich auch, welche jene „causalité complexe“ oder „tissulaire“ generiert, die im Bereich des Sozialen generell anzunehmen ist.[34] „Komplexität von Kausalverhältnissen“ aber heißt dann, in direktem Gegensatz zu den Grundannahmen sozialwissenschaftlicher mainstream Vergleichsforschung szientifischer Observanz:

„(a) De mêmes causes peuvent conduire à des effets différents et/ou divergents.

(b) Des causes différentes peuvent produire de mêmes effets.

(c) De petites causes peuvent entraîner de très grands effets.

(d) De grandes causes peuvent entraîner de tout petits effets.

(e) Des causes sont suivies d’effets contraires.

(f) Les effets des causes antagonistes sont incertains.

La causalité complexe n’est pas linéaire: elle est circulaire et interrelationnelle; la cause et l’effet ont perdu leur substantialité; la cause a perdu sa toute-puissance, l’effet sa toute-dépendance. Ils sont relativisés l’un par l’autre, ils se transforment l’un dans l’autre. La causalité complexe n’est plus seulement déterministe ou probabilitaire; elle crée de l’improbable.“[35]

Vor diesem Hintergrund muss dann auch – neben Konzepten wie „Sinn“ oder „Selbstreferenz“ – der theoretische Sinn des von Luhmann reformulierten „Funktions“-Begriffs gesehen werden. Mit „Funktion“ in diesem Sinne werden nicht mehr oder nicht in erster Linie, wie in der sozialwissenschaftlichen Literatur geläufig, Beziehungen im Gegenstandsbereich der Theorie gemeint: genetische oder Abhängigkeitsbeziehungen etwa bzw. Wirkungs- oder Leistungsbeziehungen. Mit „Funktion“ ist vielmehr eine spezifische Beobachtungshaltung im Wissenschaftssystem gemeint. Es ist eine Beobachtungshaltung, die von der scheinbaren Eindeutigkeit des Bewirkens von Wirkungen oder des Erbringens von Leistungen abstrahiert und auf Kontingenzausweitung abzielt. Der reformulierte Funktionsbegriff zielt mit anderen Worten nicht auf die Feststellung von invariant gedachten Beziehungen zwischen bestimmten Ursachen und bestimmten Wirkungen. Die funktionale Perspektive setzt vielmehr solche Beziehungen dem Vergleich mit substituierbaren Alternativen aus und fragt nach anderen Möglichkeiten des Bewirkens von Wirkungen. Sie rückt „den Gegenstand in Direktbeleuchtung und in Seitenbeleuchtung. (...) Sie zeigt, wie er zur Problemlösung beiträgt, und sie klärt zugleich, dass er es nicht so tut wie andere, funktional äquivalente Formen.“[36]

„Nicht auf eine gesetzmäßige oder mehr oder weniger wahrscheinliche Beziehung zwischen bestimmten Ursachen und bestimmten Wirkungen kommt es an, sondern auf die Feststellung der funktionalen Äquivalenz mehrerer möglicher Ursachen unter dem Gesichtspunkt einer problematischen Wirkung“.[37]

Unverkennbar nimmt der Begriff der „funktionalen Äquivalenz“ in diesem Zusammenhang eine Schlüsselposition ein, und dies in zweifacher Hinsicht: Zum einen rückt er zum definierenden Merkmal auf, welches die Eigenständigkeit des funktionalen Gedankens vom klassischen (das heißt kausalwissenschaftlich auslegbaren) Funktionalismus abzuheben erlaubt. Die funktionale Beziehung wird nun nicht mehr gesehen als eine besondere Form kausaler Beziehungen; vielmehr macht die eindeutige Kausalbeziehung – als „Grenzfall absolut reduzierter Äquivalenz“[38] – einen Sonderfall innerhalb funktionaler Ordnung aus. Die Funktion in diesem Verständnis ist mit anderen Worten ein „regulatives Sinnschema“, das im Rahmen eines alternativen Theoriecorpus den Platz einnimmt, den im hypothetisch-deduktiven Theorietypus das Kausalprinzip innehatte.[39] Sie verweist auf eine Beobachtungstechnik, die quer zu den Kausalitäten fragt und Relationierungen zwischen Problemen und Problemlösungen vornimmt mit dem Ziel, „Vorhandenes als kontingent und Verschiedenartiges als vergleichbar zu erfassen“.[40]

Zum anderen kann der Begriff der „funktionalen Äquivalenz“ auf eine genuin komparatistische Karriere zurückblicken. In seinen Begriffsinhalt sind nicht zuletzt komparative Erfahrungen mit der „schrecklichen Vielfalt“ sozial-kultureller Lösungsmuster eingegangen.[41] Der Begriff fungiert damit als Brückenprinzip, das den funktionalen Gedanken auf vergleichende Methodik hin auslegt: Eine äquivalenzfunktionalistisch reformulierte Vergleichsmethodik wahrt, indem sie (a) unterschiedliche Leistungen, Strategien oder Problemlösungen relativ zu einem festgestellten Bezugsproblem ermittelt und (b) diese Beziehungen unter dem Gesichtspunkt ihrer möglichen Austauschbarkeit wechselseitig aufeinander bezieht, die elaborierte Form des Relationierens von Relationen. Sie wahrt mit anderen Worten eine Form der Relationserkenntnis, wie sie sich seit der bewussten Nutzung des Vergleichs in wissenschaftsförmigen Erkenntniszusammenhängen, seit Montesquieu, Buffon oder bestimmten Artikeln der Encyclopédie also, herausgebildet hatte und für die sozialwissenschaftliche Vergleichstradition kennzeichnend geworden war.[42] Doch stützt sich eine solche Vergleichsmethodik nicht mehr auf die – seit Durkheim mit besonderer Prominenz ausgezeichneten – Schließregeln der Mill’schen Logik, sondern folgt der Heuristik des Äquivalenzprinzips. Entsprechend tiefgreifend ist der Wandel, den eine nach Maßgabe des reformulierten Funktions-Begriffs angelegte Vergleichsmethode erfährt. Von einem quasi-experimentellen Prüfverfahren für hypothetisch generalisierte Bedingungs- oder Wirkungszusammenhänge wird sie umgestellt auf die empirisch gestützte Erschließung eines problemrelativ organisierten (in diesem Sinne funktionalen) Bereichs alternativer (aber als äquivalent unterstellter) Möglichkeiten des Bewirkens von Wirkungen.

3 Ein funktional-konfiguratives Erklärungsmodell

Äquivalenzfunktionalistische Vergleichsverfahren sind nicht unbedingt neu. Ihre weiterführende Explikation kann insofern von bereits vorliegenden Erfahrungen und Reflexionen ausgehen. Aufschlussreich sind insbesondere Verfahren, wie sie im Bereich der rechtswissenschaftlichen Komparatistik ausgebildet wurden. Sie folgen einem im weitesten Sinne funktionalen Argumentationstypus. Die ihm unterliegenden „gegenstandstheoretischen“ Annahmen besagen, dass sich die in unterschiedlichen Rechtsordnungen oder Kulturen anzutreffenden Regelungs- oder Organisationsmuster begreifen und analysieren lassen als historisch spezifische Lösungen für ubiquitäre Gestaltungsprobleme, welche ihrerseits mit der „Sachlogik und Gleichartigkeit“ allgemeiner Ordnungsaufgaben des gesellschaftlichen Zusammenlebens zusammenhängen.[43] Aus diesen Annahmen ergeben sich zwei heuristische Prinzipien, die im Rahmen der rechtswissenschaftlichen Komparatistik weiter bestimmt werden als „Gesetz der funktionalen Äquivalenz von Rechtsbegriffen und Rechtsfiguren zwischen den Systemen“ und als „Gesetz der wechselseitigen Abhängigkeit der Institutionsformen innerhalb eines Systems.“[44] Der im Rahmen dieser Denkfigur strukturierte Vergleich bildet dann eine in charakteristischer Weise funktional und genetisch zugleich gerichtete Analyseperspektive aus. Er bezieht sozial-kulturell variierende Institutionen als je getroffene Problemlösungen auf allgemeine Ordnungsprobleme oder Rechtsbedürfnisse auf der einen, auf die in historisch konkreten Sozialsystemen jeweils gegebenen strukturellen Voraussetzungen oder Problemlösungsressourcen auf der anderen Seite, um sie aus dieser zweifachen Referenz — der sachlogischen Hinordnung auf transkulturelle Gestaltungsprobleme und der strukturbedingten Formgebung im Rahmen einer historischen Gesamtordnung — zu erklären.

Nicht nur haben Untersuchungen beispielsweise zu Prozessen der Staaten- und Nationenbildung oder zur Bewältigung gegenwärtiger Herausforderungen des sozioökonomischen Wandels die prinzipielle Generalisierungsfähigkeit eines solchen Ansatzes auch über rechtsvergleichende Themen hinaus belegt.[45] Und nicht nur demonstrieren sie eine nicht-reduktionistische Flexibilität im Umgang mit der „schrecklichen Vielfalt“ kultureller Phänomene, die in der zugrundeliegenden – funktional und genetisch zugleich gerichteten – Denkfigur angelegt ist. Im gleichen Zusammenhang unterstreichen diese Arbeiten vielmehr auch eine Voraussetzung, deren Dringlichkeit in der rechtswissenschaftlichen Komparatistik zwar festgehalten, deren Lösung aber kontrovers geblieben ist, nämlich die Konzeptualisierung der als Bezugspunkt der Analyse dienenden Probleme. Gerade für ein Verfahren, das von bestimmten Problemgesichtspunkten aus Äquivalenzbestimmungen vornimmt, ist die Festlegung solcher Gesichtspunkte unabdingbar. Insofern ist auch ein funktional angelegter Vergleichsansatz methodologisch rückgebunden an die vorgängige Dimensionierung des jeweiligen Untersuchungsfeldes im Rahmen einer sachlich relevanten Theorie. Deren vorrangige Aufgabe ist es, die Bestimmung analyseleitender Problemgesichtspunkte der Beliebigkeit zu entziehen und sie aus systematischen Zusammenhängen heraus zu begründen. Es ist zudem ein Vorteil theoretisch expliziter Problemfassungen, den Blick nachhaltiger zu schärfen für die empirischen Unterschiede zwischen national (gesellschaftlich, kulturell etc.) variierenden Problemlösungen und ihren sozio-historischen Voraussetzungen. Je abstrakter eine solche Theorie gehalten ist, desto eher kann sie außerdem unkontrollierte kulturspezifische oder – etwa im Fall vergleichender Rechts-, Religions- oder Erziehungswissenschaft – dogmatische Einfärbungen der Problemdefinition abstreifen. Eine sowohl abstrakt wie umfassend angelegte Theorie hält schließlich das Bewusstsein dafür wach, dass Probleme ihren Problem-Charakter nicht als solche, nicht isoliert, sondern erst aus vernetzten Zusammenhängen – aus Problem-Systemen „bzw. als System-Probleme“ – erhalten.[46]

Im Hinblick auf solche Erwartungen stellt die Theorie selbstreferentieller sozialer Systeme eine vielversprechende, aber selbstverständlich nicht die einzige, Option bereit. Sie scheint umso eher dazu in der Lage zu sein, als Beispiel einer – als Desiderat eingeklagten – „variation-finding theory“ zu dienen,[47] als sie nicht deduktiv geschlossen, sondern auf Ausarbeitung durch spezifizierende Teiltheorien und auf Informationsgewinnung durch vergleichende Forschung geradezu angelegt ist. Ein Vergleichsansatz, der im Anschluss an diesen Theoriecorpus dimensioniert ist, artikuliert sich um eine in sich gegenläufige Denkfigur. Diese nimmt die funktional und genetisch zugleich ansetzenden Relationierungen kulturspezifischer Problemlösungsmuster wieder auf, die am Beispiel der rechtswissenschaftlichen Komparatistik eingeführt wurden. Doch lässt sie sich im Rahmen funktionaler Systemtheorie sowohl konzeptionell präzisieren als auch weiter entfalten zur gegenläufigen Denkbewegung von Generalisierung und Respezifikation, das heißt von „Ermittlung (im allgemeinen) und Ausschaltung (im konkreten) von funktionalen Äquivalenten“.[48] Und die vergleichend argumentierende Erklärung kulturspezifischer Lösungsmuster kann dann nur hervorgehen aus der analytischen Abarbeitung der damit eröffneten Spannung zwischen theoretischer Ausweitung und historisch-empirischer Limitierung dessen, was möglich ist.

Mit Generalisierung ist bei diesem Vorgehen die theoretische Konstruktion des Untersuchungsfeldes bezeichnet. Von ihr werden zwei Leistungen erwartet. Sie hat das im einzelnen analyseleitende Bezugsproblem konzeptionell zu bestimmen – etwa als strukturelles Gestaltungsproblem eines sozial-kulturellen Handlungsfeldes – und zugleich seinen Stellenwert in einem umfassenderen Problemgefüge auszuweisen. Und sie hat einen von diesem Bezugsproblem her organisierten Äquivalenz- oder Vergleichsbereich (denk)möglicher Lösungswahlen abzustecken. Damit ist festgehalten, dass das Spektrum alternativer Lösungsstrategien einerseits durch einen Problemgesichtspunkt vorgeordnet (insofern nicht beliebig), dass aber andererseits die funktionale Perspektive gerade auf die Öffnung der Relation zwischen Problem und Problemlösung für substituierbare Formen des Bewirkens von Wirkungen angelegt ist. In solcher Problemkonstruktion, die sich gegebenenfalls zu einer Stufenordnung von alternativen Lösungsstrategien und daran anschließenden Folgeproblemen weiter ausdifferenzieren lässt, liegt die eigentliche vergleichsstrukturierende Leistung der Theorie. Diese Voraussetzung muss als solche festgehalten werden, auch wenn sie im einzelnen immer nur themenabhängig, und das heißt bereichsspezifisch, ausgeführt werden kann.[49]

Spezifizieren heißt demgegenüber: „engere Bedingungen der Möglichkeit angeben“.[50] Die von einer theoretischen Problemkonstruktion aus als äquivalent entworfenen Lösungsvarianten oder Bewältigungsstrategien werden mit anderen Worten unter den Bedingungen je konkreter historischer Realisierung aufgesucht. Solche Bedingungsanalyse kann in zweifacher Richtung erfolgen. Sie kann sich richten auf die Entscheidung zugunsten bestimmter, und zuungunsten anderer, Problemlösungen. Und sie kann sich richten auf die aus solchen Entscheidungen erwachsenden Folgen und Folgeprobleme. Die erste Spezifikationsperspektive zielt mit anderen Worten auf die Rekonstruktion der Ausgangsbedingungen und Ressourcen für bestimmte Entscheidungsprozesse und Strukturwahlen; sie sei insofern – im Anschluss an Begriffe aus Soziologie und Ethnologie – mit dem Terminus Konfiguration belegt. Die zweite Perspektive geht den an solche Entscheidungen anschließenden Prozessen systemischen Strukturaufbaus nach; für sie wird mithin – im Anschluss an das Selbstorganisationsparadigma – der Terminus Morphogenese gewählt. Mit solcher Ausführlichkeit des Vorgehens ist zugleich die Gewichtung betont, die in der Konstruktion vergleichender Erklärungsargumente die doppelte – kontextrelative und prozessuale – Spezifizierung gegenüber der funktionalen Frageperspektive des Theoretikers beansprucht.

Eine funktional-konfigurative Erklärung, die nach solchen Prämissen konstruiert wird, nimmt den Charakter eines sukzessiven Ausschließungsvorgangs an. Sie fragt von strukturellen Gestaltungsproblemen sozial-kultureller Handlungsfelder aus zurück nach den dafür in unterschiedlichen Nationen (Gesellschaften, Kulturen etc.) jeweils (positiv) verfügbaren Gestaltungsressourcen oder (restriktiv) einschränkenden Entscheidungsspielräumen. Der Begriff der Konfiguration hält fest, dass solche Voraussetzungen nicht zufällig streuen, dass sie vielmehr in historisch konkreten Systemen durch Problemlösungen in anderen Feldern oder Teilsystemen immer schon präjudiziert sind.[51] Die vom Ausgangsproblem her geleitete Rekonstruktion der jeweils relevanten Problemlösungsvoraussetzungen muss dabei nicht ad hoc, nicht von Fall zu Fall Neuland ertastend, vorgehen. Sie kann sich ihrerseits führen lassen durch historisch gesättigte Typologien – etwa der historischen Entwicklungspfade, der variierenden Staatenbildungsprozesse, der gesellschaftsstrukturellen Bruchzonen oder der semantischen Traditionen europäischer Länder –, die damit die theoretische Konstruktion des Untersuchungsfeldes ergänzen können.[52] Der der Erklärung aufgegebene Vorgang der „Ausschaltung im konkreten“ von funktionalen Äquivalenten findet in solchem Zugriff auf die nicht-beliebige Strukturiertheit historischer Konstellationen seine empirische Abstützung. Die in funktionaler Perspektive kontingent gehaltenen Problemlösungen werden in konfigurativer Analyse bis auf den Punkt zurückgeführt, an dem ihre tatsächliche Realisierung als nicht-zufällige, als historisch wahrscheinliche oder, gegebenenfalls, alleinmögliche einsichtig wird. Der Vergleich unterstreicht diesen Ausschließungsvorgang, indem er alternative Problemlösungen simultan mitführt und zugleich zeigen kann, dass diese jeweils nur selektiv, nur in diesem, aber nicht in jenem nationalen (gesellschaftlichen, kulturellen etc.) Kontext durchsetzbar waren. Und er erlangt Beweiskraft in eben dem Maße, in dem die nach gleichen Konstruktionsprinzipien vorgehenden Ausgrenzungsschritte sich gerade an unterschiedlichen Fällen bewähren. Er wird mit anderen Worten in dem Maße zum Argument, in dem es gelingt, historisch verwirklichte Problemlösungen in modellgeleiteter Nachkonstruktion als bestimmte Realisierungen des in unterschiedlichen Konfigurationen strukturell Möglichen zu identifizieren.[53]

Strukturentscheidungen, einmal getroffen, kanalisieren Anschlussentscheidungen und zeitigen Folgeprobleme. Eine strukturwirksame Entscheidung greift dann in die andere, und es wachsen emergente Muster zusammen, die weder Beliebiges zulassen, noch beliebig veränderbar sind: „The initial structure conditions the options of later actors; subsequent generations pay for the freedoms of earlier ones en grande série.“[54] Der Begriff der Morphogenese bezeichnet diese Prozesse systemischen Strukturaufbaus (structural elaboration), auf die sich die zweite der oben unterschiedenen Spezifizierungsperspektiven bezieht. Wichtige konzeptionelle und historische Beiträge zu solchen Untersuchungen stellen die Arbeiten von Margaret Archer dar.[55] Unter Bezugnahme auf Rahmenkonzepte systemischer Selbstorganisation rekonstruieren sie das vielschichtige Zusammenwirken von „context“ und „environment“, von strukturellen Faktoren und sozialer Interaktion, sowie die Konflikt-, Verhandlungs- und Austausch-Beziehungen zwischen Kollektiv- und Individual-Akteuren und die infolge der Dynamik solcher Beziehungsmuster zyklisch sich wiederholenden komplexen Sequenzen von „structural conditioning—socio-cultural interaction—structural elaboration“. Das je besondere Strukturgefüge eines sozialen Systems und seine sukzessiven Veränderungen in der Zeit werden in diesem Rahmen dann ebenso wichtig als Resultat vergangenen wie als einschränkende Voraussetzung weiterlaufenden Strukturaufbaus.

So empirienah jedoch der Ansatz von Archer ist, er bleibt in seiner vorrangigen Betonung der interaktiven Verlaufstypik solcher Prozesse noch zu unspezifisch für die sachstrukturelle Formtypik gesellschaftlicher Teilsysteme (im allgemeinen) und institutionalisierter Handlungsfelder (im besonderen). Die Einsichten und Konzepte der Theorie selbstreferentieller sozialer Systeme wie etwa – auf allgemeiner Ebene – „Variation“ und „Selektion“, „Ausdifferenzierung“ und „Binnendifferenzierung“, „Funktionsorientierung“ und „Leistungsbeziehung“, „Selbstreferenz“ und „Reflexion“ oder – auf größerer Konkretionsstufe – „Kommunikationsmedium“ und „Kontingenzformel“, „Programmierung“ und „Codierung“, „Überschneidungsbereich“ und „Funktionssymbiose“, „Disziplin“ und „Karriere“ führen an dieser Stelle weiter. Verfolgt Archer beispielsweise – in gut angelsächsischer Tradition – die Durchsetzungsstrategien und Eigeninteressen der Lehrprofession, so lenken die Luhmann’schen Kategorien den Blick auf den von der Lehrprofession zwar ungeliebten, doch strukturell unvermeidlichen Selektions-Code im Erziehungssystem und auf die in ihm angelegte Verknüpfung pädagogischer und gesellschaftlicher Selektion. Stellt Archer darauf ab, systemische Wachstumsprozesse als letztlich ungeplante aus den Interaktions- und Transaktionsverflechtungen der Akteure zu rekonstruieren, so leiten die Begriffe der funktionalen Systemtheorie außerdem dazu an, systemischen Strukturaufbau auch aus der sachlichen Eigenlogik und Sinn-Orientierung gesellschaftlicher Funktionssysteme sowie aus deren Interdependenz-Beziehungen mit innergesellschaftlichen Umwelten zu erklären. In der Verzahnung beider Zugriffe, so folglich unser Resümee, lassen sich die hier gemeinten vergleichenden Prozessanalysen so anlegen, dass beides möglich wird: die Nachzeichnung der kulturgebundenen Spezifik variierender Systembildungsprozesse und ihre Auslegung im Rahmen übergreifender Theorie.

Eine vergleichend-historische Sozialwissenschaft, welche die hier skizzierten theoretisch-methodischen Optionen aufnimmt, wird sich daher in der Dichotomie von „nomothetisch“ und „idiographisch“ nicht mehr verorten lassen. Weder reduzieren ihre Untersuchungen den Vergleich zur bloßen Prüfinstanz für makro-soziale Hypothesen; noch lassen sie ihn in selbstgenügsamen Beschreibungen historischer Partikularitäten austrocknen. Solche Forschungen entfalten vielmehr spezifisch komparative Erkenntnisleistungen darin, dass sie ihren Gegenstandsbereich auf variierende Muster von Relationen zwischen abstrakt formulierten Systemzusammenhängen und konfigurativen Ordnungen hin erschließen.[56] Sie breiten den möglichen Gestaltungsreichtum der sozial-kulturellen Welt des Menschen in seinen historischen Realisierungen aus und halten im gleichen Zusammenhang fest, dass und wie diese Realisierungen der Dynamik systemischer Strukturbildungen gefolgt sind. Sie bereichern damit systematisches Wissen und unterstreichen zugleich den Gedanken evolutiver Offenheit gesellschaftlicher Praxis.