Stadt – Fluss – GrenzeGeteilte Städte an der deutsch-polnischen Grenze[Notice]

  • Elżbieta Opiłowska

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  • Elżbieta Opiłowska
    Willy Brandt-Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Breslau
    opilowska@wbz.uni.wroc.pl

Mit diesen Worten beschreibt Henryk Bereska – Dichter und Übersetzer polnischer Literatur in Deutschland – den Fluss, der lange Zeit für Menschen gesperrt war und den nur Vögel und Fische überqueren durften. Ursprünglich gab es nur eine Stadt am Fluss, der als Transportweg den Handel und die Entwicklung begünstigte. Im Jahre 1945 wurde der Fluss, der bis dahin zwei Stadtufer miteinander verband, zur hermetischen Grenze zwischen zwei Staaten. Die Stadt am Fluss wurde geteilt; der eine Teil setzte die Geschichte fort, in dem anderen fing 1945 eine neue Geschichtstradition an, ohne sich auf die gemeinsame Vergangenheit zu beziehen. Die Stadt als Raum musste neu definiert werden, man versuchte neue Identifikationsmuster zu schaffen. Ein polnischer Journalist der parteilichen Tageszeitung Trybuna Ludu schrieb 1947: „Zwei Jahre nach dem Ende des Krieges fuhr ich auf einem Schiff von Wrocław nach Szczecin über die Oder. Ich erinnere mich nicht an die ausgestorbenen Städte auf beiden Seiten des Flusses, nicht an wilde Felder, die das Gras überwuchs. [...] Im Gedächtnis sind Massen von Menschen an beiden Ufern haften geblieben, die auf ein paar geschmückte Boote schauten. [...] Es waren schweigende Massen, Menschen auf beiden Flussufern, die einander in Stille, ungläubig und misstrauisch ansahen. Das war ein Fluss, der teilte und nicht verband.“ An den europäischen Grenzen gibt es mehr als 60 solcher Doppelstädte, die unmittelbar benachbart sind und zwei verschiedenen Staaten angehören. Infolge der Grenzziehung an Oder und Neiße wurden ca. 50 Dorfgemeinden und sieben Städte geteilt, wovon drei als Doppelstädte fungieren; sie wurden Doppelstädte wider Willen. Geteilte Städte sind „Wunden der Geschichte, die großen Schmerzen im Bewusstsein der Welt.“ Die Doppelstädte sind zumeist mittelgroß und liegen an der Peripherie des Landes, weit vom wirtschaftlichen und politischen Zentrum entfernt. Die Zusammenarbeit beider Stadthälften ergibt sich demnach aus dem Bedürfnis, dem Charakter der Randlage zu entgehen. Das Grenzüberschreitende, das Binationale charakterisiert sie und hierdurch versuchen sie, sich von den anderen durchschnittlichen, „national homogenen“ Mittelstädten zu unterscheiden und Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, wie z.B. Görlitz und Zgorzelec, als sie sich gemeinsam um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt bewarben. Die Osterweiterung der Europäischen Union am 1. Mai 2004 war die Stunde der Doppelstädte, schreibt Helga Schultz. Von Frankfurt/Słubice an der Oder und Görlitz/Zgorzelec an der Neiße bis Gorizia/Nova Gorica am italienisch-slowenischen Isonzo eilten hochrangige Politiker in die krisengeschüttelten Grenzstädte, um die Rhetorik der überwundenen Grenzen zu pflegen. Dieses politische Ereignis war begleitet von Volksfesten, die für „eine hochgestimmte Nacht die Völkerverbrüderung probten.“ Bevor Brücken die beiden Flussufer miteinander verbanden, hatte der Fluss jedoch lange Zeit eine unüberwindbare Grenze gebildet. Im Folgenden möchte ich mich auf die drei größten geteilten Städte an der deutsch-polnischen Grenze konzentrieren – Frankfurt (Oder)/Słubice, Guben/Gubin und Görlitz/Zgorzelec – und versuchen, verschiedene Entwicklungsstadien der deutsch-polnischen Grenzregionen und der Wahrnehmung ihrer Bewohnerschaft zu skizzieren. Wenn man der Typologie der Interaktionsmodelle für Grenzregionen nach Martinez folgt, die unten dargestellt ist, dann scheinen die deutsch-polnischen Grenzregionen die ersten zwei Etappen hinter sich gebracht zu haben und momentan zunehmend dem Muster der „kooperierenden Grenzregionen“ entgegenzustreben (siehe S. 166). Die Symbolik der gesprengten Brücken des Jahres 1945 ist für alle drei Grenzstädte typisch. In Frankfurt (Oder), Guben und Görlitz wurden die Brücken kurz vor der Kapitulation Deutschlands vernichtet. Frankfurt (Oder) und Guben wurden im Krieg völlig zerstört. Am 26. Januar 1945 wurde Frankfurt (Oder) zur Festung erklärt und die Bevölkerung evakuiert. General Theodor Busse und Stadtkommandant Oberst Biehler ließen am 19. April die Oderbrücke in die Luft sprengen. Anschließend bombardierte die Rote Armee die Festung. Es kam zu Plünderungen und Brandschatzungen, was dazu führte, dass 65 Prozent der Stadtgebäude einschließlich der historischen Altstadt zerstört wurden. Eine Frankfurterin erinnert sich: …

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