Dossier

Das Lesen des Sternenhimmels in frühen HochkulturenThe Reading of the Heavens in Early Advanced Cultures[Notice]

  • Hans-Joachim Griep et
  • Eli MacLaren

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  • Hans-Joachim Griep

  • Translated by
    Eli MacLaren

English text follows German

Wenn wir uns mit der Geschichte des Lesens beschäftigen und ihre Anfänge betrachten wollen, hilft uns eine Nominal- oder Realdefinition der Tätigkeit des Lesens kaum weiter. Eine Nominaldefinition ist relativ willkürlich, eine Realdefinition versucht eine Wesensanalyse, wobei zu fragen ist, wie die richtige Erfassung des „Wesens“ überprüft werden kann. In Ablehnung metaphysischer Maßstäbe postuliert Wittgenstein einen kulturellen Relativismus, der eher dazu dienen kann, „lesen“ zu bestimmen. Der Mensch konstruiert auch dort Ordnungen, wo es in „Wirklichkeit“ keine gibt, z.B. bei der Konstruktion von Sternbildern. Aber sichtbare Figuren der Natur und ihre mythische Interpretation lieferten die Informationen, die für eine Gemeinschaft in einer bestimmten Zeit überlebensnotwendig waren. Ein möglicher Anfang des „Lesens“ wird im Folgenden paradigmatisch an drei frühen Hochkulturen dargestellt. Die Nomaden durchzogen mit ihren domestizierten Tierherden einen Raum, der durch keine Wege in irgendeiner Form strukturiert war. In der Wüste verlöschte der Wind die Spuren der Karawane und schuf landschaftlich immer neue Gebilde. Orientierungen im Gelände waren so unmöglich. Einzige Anhaltspunkte, um Tränken für Tiere und Menschen zu erreichen, bot der gestirnte Himmel, tagsüber die Sonne, nachts der Sternenhimmel. Die nomadisierenden Hirten erblickten in den Gestirnen eine Ähnlichkeit zu ihrer Situation. Die Sonne wanderte während des Tages über den Himmel, nachts behielten zwar einige Sterne ihren Platz, der größte Teil aber wanderte – wie sie es auf der Erde taten – einzeln oder in Gruppen über den Himmel. In bestimmten Sternkonstellationen sahen Nomaden Gestalten verkörpert, die in ihrem Alltagsleben eine wichtige Rolle spielten. Ebenso wichtig wie für die Orientierung in der Wüste war die Orientierung auf dem Wasser. Auch für die Seefahrer wies der gestirnte Himmel die Richtung zum sicheren Hafen. Die Beobachtungen der Nomaden und Seefahrer und ihre Versuche einer ersten Sinngebung des Sternenhimmels stellen die nichtdatierbare Geburtsstunde von Astrologie (ἄστρον, τό, Sternbild und λόγος, ὁ, Lehre, Kunde) und Astronomie (νόμος, ὁ, Gesetz) dar, zwei mögliche Betrachtungen des Sternenhimmels, die sich erst mit dem Beginn der Aufklärung zu Beginn des 17. Jahrhundert trennen ließen. Der Sternenhimmel wies den nomadisierenden Hirten nicht nur die Richtung, sondern die Himmelserscheinungen wurden in Ägypten als göttliche Befehle gelesen und eingebunden in eine komplexe Mythologie. So gewannen die Ägypter eine Lebensorientierung, die die räumliche und zeitliche weit überschritt. Als im 5. Jahrtausend vor unserer Zeitrechung Teile der nomadisierenden Sippen sesshaft wurden, wurde das Lesen des Sternenhimmels noch wichtiger. Die göttlichen Befehle bezogen sich jetzt auch auf Zeitangaben, die wichtig waren, um die Felder richtig zu bestellen. Die Ägypter entwickelten einen Kalender, der sich an dem Aufgang des Sterns „Sirius“ (Sothis) orientierte. Dieser findet einmal jährlich statt und markiert so den Beginn des neuen Jahres, das 365 Tage umfasste. Da sich Sirius in dem von den Ägyptern so genannten Sternbild „Großer Hund“ als hellster Stern befand, nannten die Ägypter den Sirius auch Hundsstern. Sein Aufgang zur Zeit der Sonnenwende im Sommer war verbunden mit der Aussicht auf die Nilüberschwemmung. Diese Zeit, in der der Nil erheblich mehr Wasser mit sich führte und die Ufer des Nils über weite Strecken in fruchtbares Ackerland verwandelte, war für die Landwirtschaft immens wichtig und bestimmte den Zeitpunkt für die Aussaat des Getreides. In ihrer Mythologie setzten die Ägypter den Stern Sirius mit der Göttin Sopdet gleich, dem Geist des Nilflusses, der Göttin der Fruchtbarkeit, der Wiedergeburt und des Ursprungs der Welt. Für die Griechen der antiken Welt bedeutete der Aufgang des Hundssterns kurz vor Sonnenaufgang den Beginn sonnenreicher Tage. Für uns heute sind die Hundstage die heißen Tage des Sommers in der Zeit vom 23. Juli bis zum 23. August, und kaum einer bringt sie mit dem Aufgang des Sirius in Verbindung. Das Lesen des Sternenhimmels diente nicht …

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